Es ist klar: Die Konzern-Verantwortungs-Initiative ist nach Verfassung und Gesetz abgelehnt. Aber zur berühmten Tagesordnung wird niemand übergehen können. In den Kommentaren ging eines unter: Es wurde nicht einfach die nächste Initiative gebodigt, dank dem Ständemehr. Vielmehr sah sich die Wirtschafts-Mehrheit in Bundesrat und Parlament gezwungen, die Überzeugungskraft der Initiative durch einen Gegenvorschlag zu bremsen – und brachte nicht einmal diesen bei einer Mehrheit der Abstimmenden durch! Ein sehr seltenes und einschneidendes Resultat, welches auch zeigt, dass der höchst unverbindliche Gegenvorschlag schon jetzt überholt ist. Und wir Gefahr laufen, durch die kommende Entwicklung in vielen Staaten ins Hintertreffen zu geraten.
Die Mehrheit der Abstimmenden liess sich auch mit weiteren fragwürdigen Gegenargumenten nicht beirren und setzte ein entschlossenes Signal für – kontrollierbare – Menschenrechte und Umweltstandards.
Durch die mangelnde Bereitschaft der Polit-Wirtschaftskreise, diese Entwicklung vorausschauend anzuerkennen, haben sich leider verschiedene Gräben in unserem Land erneut aufgetan: Zwischen Deutsch und Welsch, Stadt und Land.
Und wenn es auch nur teilweise stimmt, dass der Bauernverband seine Nein-Parole in der Hoffnung auf Gegengeschäfte gesetzt hat, etwa die Unterstützung durch Freisinn und Wirtschaft bei der Debatte zur Agrarreform? Dann würde ein weiterer Graben wieder aufgerissen, der in den letzten Jahren durch grosse Bemühungen von beiden Seiten ein Stück weit eingeebnet wurde: der Graben zwischen Konsumenten und Produzenten. Wie soll ich meinen vielen Freunden und Bekannten in der Stadt Solidarität mit der Schweizer Bauernschaft schmackhaft machen, wenn der Bauernverband die Interessen der städtischen Bevölkerung derart unterläuft, in einer Sache, welche die Landwirtschaft gar nicht so zentral betrifft ?
Der nun mit Unterstützung der Ständemehrheit und der Volksminderheit durchgebrachte Gegenvorschlag war Resultat eines Bundeshaus-Manövers im letzten Moment. Wäre der frühere, verbindlichere Gegenvorschlag des Nationalrats nicht abgewürgt worden, hätte die Abstimmung mit all den schmerzlichen, schädlichen, trennenden – und teuren – Grabenkämpfen gar nicht stattfinden müssen !
Gusti Pollak, Boltigen
Leserbrief, nach der historischen Abstimmung vom 28. November 2020 an die ländliche Umgebung im Simmental gerichtet.
Und an die urbane in der „Republik“, (als Ergänzung zu Daniel Binswangers brillanter Analyse), schrieb ich:
„Es wird wichtig sein, dass die urbane Gesellschaft den veränderungsfähigen Teil der Schweizer Landwirtschaft nicht fallen lässt und als Baustein einer ökologischen und gerechten Wirtschaft weiterhin stützt. Ein wichtiger Baustein beim lokal Handeln und global Denken.“
https://www.republik.ch/2020/11/30/sieg-der-progressiven-schweiz